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Wie geht Lernen?

Aktualisiert: 2. Juni 2020

Lernen durch Handeln

Unsere Bildungsinstitutionen sind, von einem kognitiven

(= auf Wissen bezogenen) und rationalistischen (= von der Vernunft geprägt) Verständnis des Lernens geprägt.

Das Lernen besteht vor allem in der Aufnahme und dem Behalten von

Wissen, bestehend aus Informationen und theoretischen Zusammenhängen und auch Deutungen.

Auch in der beruflichen Bildung wird häufig die Wissensvermittlung übermäßig betont, obwohl hier eigentlich gelernt werden soll, wie man richtig arbeitet. Diese Überzeugungen von Lernen äußern sich z.B. in folgenden „Grundmissverständnissen“, die man immer wieder hören kann:

Erst muss man den Lernenden einmal erklären, wie es richtig geht, und die Theorie dazu vermitteln; das gilt als Voraussetzung für ein verändertes oder verbessertes Handeln:

Wer eine Sache weiß, einen Zusammenhang begriffen und gedanklich erfasst

hat, der wird – so die stillschweigende Annahme – auch so handeln.

Möchte man also, dass jemand neue Handlungsweisen lernt oder bestehende Handlungsweise verändert muss man ihm das entsprechende Wissen, die entsprechenden Einsichten, Gedanken und Theorien vermitteln. So kommt es, dass man heute z.B. jemandem, der, ein Unternehmen gründen möchte umfassende Informationen über Produktentwicklung, Marketing, Logistik, Prozesssteuerung, Finanzierung, Marktmechanismen usw. beibringt, in der Annahme, dass ihn all dieses Wissen zu richtigem Handeln befähigen wird – in der Realität sieht das dann oft allerdings ganz anders aus.

Besseres Wissen befähigt angeblich zu besserem Handeln. Handeln ist in diesem Verständnis etwas, das sich aus Wissen bzw. „richtigem“ oder „wahrem“ Denken notwendigerweise ergibt: Denkt man etwas richtig, kann man ja gar nicht anders, als richtig handeln. Deshalb, so gängige Praxis, muss man Menschen

nur richtiges Wissen und Denken lehren, dann wird sich auch ihr Handeln entsprechend

ändern.

Einfache Alltagserfahrungen weisen allerdings sehr schnell darauf hin, dass an dieser grundlegenden Vorstellung vom Lernen als einer Wissensaufnahme, die Handeln ermöglicht, irgendetwas nicht stimmt.

Wieso erleiden Autofahrer Unfälle obwohl sie wissen, dass sie nicht auf dem Handy tippen sollen. Wieso haben junge Akademiker, die erfolgreich studiert haben, in ihrer ersten Stelle so etwas wie den bekannten Praxisschock? Wieso werden Sicherheitsvorschriften missachtet, obwohl darüber ausführlich belehrt (und möglicherweise sogar eine Prüfung abgehalten) wurde?

Gelerntes Wissen resultiert also keineswegs immer im gewünschten Handeln: „Sie wissen, wie es geht, können es aber nicht“ (Um neu oder verändert zu handeln, genügt es also doch nicht, nur neues Wissen und Denken aufzunehmen und zu üben. )

Etwas praktisch tun zu lernen

- Fahrradfahren, kundenorientiert beraten, soziale Konflikte lösen usw. -, geht nicht einfach über den „Kopf“. Der Glaube an die Kraft der Vernunft ist nützlich und wichtig allerdings reicht das nicht, um zu verstehen, wie richtig handeln gelernt wird.


Dafür gibt es unzählige Beispiele, die zeigen, dass ein praktisches Können vorhanden ist, ohne dass zuerst entsprechendes Wissen gelernt wird: Im Allgemeinen dürften

Menschen, die gut Fahrrad fahren können, dies nicht über die Vermittlung einer Theorie des Fahrradfahrens gelernt haben. Auch bei anderen praktischen Fähigkeiten z.B. Schwimmen oder Tanzen, beim Lernen von Fremdsprachen, Verhandeln oder Flirten nützt es eher weniger, sich zunächst mit entsprechendem Fach- und Hintergrundwissen zu beschäftigen. Solche Handlungen lernt man offenbar auf anderen Wegen als das Ansammeln von theoretischem Wissen.

Theorien sind allerdings auch nicht überflüssig: Lernende greifen gerne darauf zurück,

wenn bei der zu lernenden Handlung unerwartete Hindernisse auftreten, die er verstehen möchte. Den Lernenden mit einem frühen Wissen über die Hindernisse zu belehren, hilft in der Regel nicht, diese Hindernisse zu vermeiden. Man versteht das Wissen über die Hindernisse meist erst dann, wenn man eben diese Hindernisse erfahren haben.

Mit großer Sicherheit haben die meisten Menschen das Fahrradfahren dadurch gelernt, dass man sich aufs Fahrrad gesetzt und es einfach unbefangen probiert haben. Das klappt nicht immer auf Anhieb, einige Stürze und aufgeschürfte Knie waren unvermeidlich, aber letztlich konnten wir es dann irgendwann ganz alleine. Hilfreich war dabei möglicherweise die Hand eines Erwachsenen, die manchen Sturz verhindert, bevor das Kind das richtige Gefühl für die Balance ausgebildet hat– aber lernen muss man selbst, und zwar ohne Theorie, allein durch das Tun.

Dieser eigentliche Lernprozess ist nicht so einfach, führt durch Höhen und Tiefen die man erleben muß, bis man letztendlich das Bewältigen aller schwierigen Situationen beim Fahrradfahren gelernt hat.

Die potentiell auf Kinder niedergehende logischen Erklärungen und Anweisungen

des stützenden Erwachsenen sind hierbei tendenziell lästig und wenig hilfreich, ja, Informationen können während derartigen Lernprozessen überdies störend sein: In der Frühphase des Radfahren Lernens fiel man turnusmäßig herab, wenn plötzlich bewusst

wurde, dass keiner mehr das Rad hält. Mit dem Verlust der Unbefangenheit über Daten kam die Angst, und mit der Angst die Unfähigkeit, praktisch zu lernen.


Hiermit stoßen wir hier auf ein essentielles Gesetz des praktischen Lernens, des Lernens von Tätigkeiten: Es ist so, dass Lernende eben nicht erst Informationen konsumieren und dann eine bestimmte Handlung ausführen. Das Lernen der Handlung erfolgt nur durch das handeln selbst, Man lernt etwas zu tun, indem man es tut; indem man also genau diese Tätigkeit (die der Lernende noch nicht kann) durchführt. Das ist paradox.

Berufliche Bildung in Deutschland: das EU-Reformprogramm "Lissabon 2000"

von Georg Rothe KIT Scientific Publishing 2008


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